_Das folgende Interview wurde im Mai 2005 gef\xFChrt. Die Fragen stellte Thomas Martiens f\xFCr eine wissenschaftliche Arbeit. Geantwortet hat Floh._
Warum braucht es (gerade auch in Deutschland) eurer Meinung nach unabh\xE4ngige Medien? Gibt es ein ungef\xE4hres Ziel (oder erstmal eine Zwischenetappe), das ihr erreichen wollt?
Erstmal muss klargeste*_llt werden, dass es Indymedia als ein abgegrenztes
"Wir" nicht gibt bzw. nicht klar abgrenzbar ist. Indymedia ist ein Netzwerk
und kann und soll deshalb als handelndes Subjekt nicht auftreten. Der engere
Kreis an Leuten, die sich um die strukturelle Arbeit (technische Betreuung,
Moderation usw.) k\xFCmmern ist nur ein Teil der Struktur "Indymedia". Doch
auch dieser ist personell nicht eindeutig definierbar, der \xDCbergang zum
"normalen" User ist flie\xDFend. Auch wenn es noch Reste an Hierarchien gibt,
haupts\xE4chlich durch den passwortbeschr\xE4nkten Zugang f\xFCr Moderatoren, so ist
der entscheidende Punkt, der Indymedia auch von den "herk\xF6mmlichen" Medien
unterscheidet, dass es keinen strukturellen Unterschied zwischen
Medienkonsument und Medienproduzent gibt. JedeR kann beides sein. Und somit
ist JedeR potentiell Indymedia.
F\xFCr eine Gesellschaft, die beansprucht frei zu sein und das einzelne
Individuum und dessen ungehinderte Entfaltung als ihren h\xF6chsten Wert
ansieht, sind Institutionen f\xFCr die freie gesellschaftliche Kommunikation
nat\xFCrlich notwendig. Unter unabh\xE4ngigen Medien verstehe ich kurz gesagt also
solche, die keiner zentralen Kontrolle unterliegen. Kontrolle in diesem
Sinne ist nicht nur staatliches Eingreifen, sondern auch (und in Demokratien
ist das die h\xE4ufigste Form von Kontrolle) die Unterwerfung unter
marktwirtschaftliche Prinzipien. Au\xDFerdem gibt es noch andere Mechanismen
wie Patriotismus, durch welche sich Medien in demokratischen Gesellschaften
selber regulieren. (siehe die medialen Ereignisse nach dem 11.9.2001) Das
wichtigste Ziel auf dem Weg zu freien Medien ist bereits erreicht, n\xE4mlich
dass es eine Struktur gibt, die direkte Berichterstattung von unten
erm\xF6glicht. Nat\xFCrlich gibt es viele Dinge die verbesserungsw\xFCrdig sind bzw.
wo es noch Entwicklungspotential gibt. Doch die Schw\xE4chen liegen nur
teilweise in der Struktur, sondern haupts\xE4chlich im fehlenden
emanzipatorischen Gebrauch dieses Mediums. Die Entwicklung zu einem Medium
was v\xF6llig frei ist, d.h. ohne Hierarchie wie Moderation oder Zensur
auskommt ist somit auch mit einer entsprechenden gesellschaftlichen
Ver\xE4nderung verkn\xFCpft. Das soll nicht hei\xDFen, dass eine emanzipatorische
Weiterentwicklung erst dann m\xF6glich ist, wenn die Gesellschaft "reif" dazu
ist, aber es existiert eine Wechselwirkung. Kurz gesagt: Indymedia ist das,
was die User draus machen.
Was unterscheidet euch von den "normalen/abh\xE4ngigen" Mainstream-Medien? Wie definiert ihr diese?
Wird aus den anderen Antworten klar.
Wo seht ihr die Kritikpunkte in den normalen Medien? Gibt es konkrete Beispiele, wo diese eurer Meinung nach, die Realit\xE4t falsch oder verzerrt wiedergeben / wiedergegeben haben?
Das l\xE4uft auf die Frage nach Objektivit\xE4t hinaus. F\xFCr mich gibt es keine
Objektivit\xE4t, in diesem Sinne gibt es auch keine "richtige" Darstellung der
Realit\xE4t. Jeder Mensch ist subjektiv, daran \xE4ndert auch keine Sachlichkeit
oder journalistischer Berufsethos etwas. Nat\xFCrlich gibt es bewusste
F\xE4lschung und Verzerrung in der medialen Vermittlung. Das Problem an der
Falschdarstellung ist aber nicht sie selber, sondern die fehlende oder
unterdr\xFCckte Gegendarstellung. Genau darauf baut das offene Prinzip von
Indymedia auf. Es gibt keinen Anspruch auf Wahrheit sondern den auf den
ungehinderten Zugang aller Darstellungen und Perspektiven. Nur durch diesen
Pluralismus gibt es eine Ann\xE4herung an die Wahrheit. Direkte
Falschdarstellungen werden gr\xF6\xDFtenteils durch andere User richtig gestellt.
Dazu kommt, dass Indymedia-User meist als Einzelpersonen berichten und nicht
im Auftrag einer bestimmten Interessengruppe (z.B. ein Konzern oder eine
Partei) oder als Journalist einem bestimmten Leser- oder Zuschauerprofil
gerecht werden m\xFCssen. (Damit sollen Journalisten nicht pauschal diffamiert
werden, nur leider sind auch sie bei ihrer Arbeit sehr oft bestimmten
Zw\xE4ngen unterworfen.) Beispiele der Falschdarstellung oder bewussten
Verzerrung gibt es viele. Klassisch schon ist der "Kampf" um die korrekten
Teilnehmerzahlen von Demonstrationen, also einer scheinbar recht objektiven
Information. Regelm\xE4\xDFig werden die offiziellen Angaben der Polizei von den
Medien gutgl\xE4ubig \xFCbernommen. Manchmal stimmen sie, aber wenn sie nicht
stimmen sind sie fast immer zu niedrig. Interessant ist auch die
Beobachtung, dass Teilnehmerzahlen von linken oder linksradikalen
Veranstaltungen besonders h\xE4ufig "abgerundet" werden, z.T. um \xFCber 50%. Dazu
kommt, dass die Berichterstattung oft auf das Sensationelle reduziert wird.
Interessant ist eine Demo nur, wenn es kracht. Eine wirkliche inhaltliche
Auseinandersetzung findet selten statt. Gegen das Prinzip "Blut, Schwei\xDF und
Tr\xE4nen" ist allerdings kein Medium vollst\xE4ndig immun, Indymedia
eingeschlossen.
Hat Deutschland nicht einen sehr vielf\xE4ltigen "Mainstream Medienmarkt", der durchaus die M\xF6glichkeit bietet, sich umfassend und objektiv zu informieren und der viele verschieden Standpunkte aufzeigt (Stichwort: SPIEGEL oder BILD - jeder kann selbst entscheiden was er liest und wie er es liest)?
Es ist richtig, dass Deutschland inhaltlich eine noch relativ vielseitige
Medienlandschaft hat. Nach meinem Verst\xE4ndnis soll Indymedia sich aber nicht
thematisch von den konventionellen Medien unterscheiden, sondern strukturell. Indymedia bietet die M\xF6glichkeit, dass eine politische Bewegung nicht darauf angewiesen ist, von den konventionellen Medien richtig
dargestellt zu werden, sondern ihr eigenes Medium ist. Indymedia geh\xF6rt niemanden, es spricht f\xFCr die, die es nutzen und ist somit immer ein Bestandteil der jeweiligen Bewegung. Es ist direkte Berichterstattung von
der Stra\xDFe durch die Akteure der Ereignisse selber. Indymedia ist auch nicht Teil des "Medienmarktes", weil es nicht marktwirtschaftlich funktioniert. Es muss sich nicht an irgendwelchen Erwartungen orientieren um sich zu verkaufen, ist also nicht dem Angebot-Nachfrage-Prinzip unterworfen.
Konventionelle Medien sind meist mit den Verh\xE4ltnissen, gegen die
protestiert wird, eng verkn\xFCpft, ob politisch oder wirtschaftlich. Zumindest
identifizieren sie sich mit einem bestimmten gesellschaftlichen oder
politischen System. Das ist keine Kritik, sondern normal. Wenn dieses System
dann Ziel von Protesten wird stehen sie ihnen logischerweise selber meist
skeptisch bis offen feindlich gegen\xFCber, was sich in der einseitigen oder
diffamierenden Berichterstattung offenbart. Jedes Medium ist in eine
bestimmte Perspektive auf die Gesellschaft eingebettet. Und den wenigen
Medien, die wirklich versuchen unvoreingenommen zu berichten gelingt dies
auch nur sehr selten, weil sie einfach nicht Teil der Bewegung sind. Die
Journalisten m\xFCssen sich sehr intensiv mit den Hintergr\xFCnden und den
politischen Weltbildern auseinandersetzen um ein halbwegs realistisches Bild
zu bekommen. Dann ist es am besten, dass die mediale \xD6ffentlichkeit von den
Aktivisten gleich selber hergestellt und betrieben wird.
Thematisch gibt es bei Indymedia keine Vorgaben, etwa dass dar\xFCber berichtet
werden soll, was in den anderen Medien verschwiegen wird oder zu kurz kommt.
Es gibt bereits eine Reihe von Medienprojekten, die sich diesen Anspruch
stellen. Was wichtig ist entscheiden diejenigen, die die Berichte schreiben.
(\xDCbrigens: Die Gegen\xFCberstellung von SPIEGEL und BILD als Alternativen finde
ich etwas eng gesehen. Sie unterscheiden sich eigentlich nur im
intellektuellen Anspruch, geh\xF6ren aber beide politisch zur
b\xFCrgerlich-demokratischen Mitte. Besser passt vielleicht TAZ gegen F.A.Z.,
Junge Freiheit gegen Jungle World oder ARTE gegen Pro7.)
Was halten ihr von Kontrollmedien wie die KEK o.\xC4.? Machen die eurer Meinung nach einen guten Job? Reichen deren Ma\xDFnahmen aus, um eine pluralistische Medienlandschaft zu f\xF6rdern?
Deren Arbeit kenne ich nicht. Aber gegen die Tendenz, dass die deutsche
Medienlandschaft immer mehr von wenigen gro\xDFen Medienkonzernen dominiert
wird sind sie scheinbar machtlos. (Aber so was nennt sich ja freier
Wettbewerb und muss deshalb ok sein. Indymedia kann jedenfalls nicht von Springer
\xFCbernommen werden. Es sei denn, dessen Journalisten ver\xF6ffentlichen alle
ihre Berichte pl\xF6tzlich auf Indymedia
Finanziert ihr euch wirklich nur aus Spenden? Wann lehnt ihr Spenden ab?
Ja, und aus dem was die einzelnen Aktivisten selber einbringen, aber letztendlich ist das gar nicht so entscheidend viel. Im Vergleich mit einem marktwirtschaftlich organisierten Internetmedium kommt Indymedia nur mit einem winzigen Bruchteil an Geld aus. \xDCber die genauere Spendenpraxis ist mir nichts bekannt.
Wo liegen eure Hauptprobleme? (Habt ihr ausreichend Helfer? Wie funktioniert die Organisation und Kommunikation untereinander? Werdet ihr von staatlichen oder anderen Institutionen behindert/eingesch\xFCchtert?
Das Hauptproblem liegt im fehlenden emanzipatorischen Gebrauch Indymedias.
Es wird missbraucht als Plattform f\xFCr Selbstdarstellung, als
Diskussionsforum, f\xFCr inflation\xE4res Bilderhochladen oder als Arena f\xFCr
Kleinkriege zwischen einzelnen politischen Gruppen. Dazu kommt der immer
wieder unfreundliche bis beleidigende Umgangston, der viele abschreckt. Auch
gegen Spam-Attacken und Unterwanderungsversuchen durch Nazis muss Indymedia
sich immer wieder wehren. Doch die stellen eher ein "technisches" Problem
dar und gef\xE4hrden Indymedia weniger als die erstgenannten Probleme.
"Helfer" gibt keine, nur Aktivisten. Und je mehr es gibt, umso besser. Jeder
Mensch, der Lust auf irgendetwas hat ist willkommen, ob \xDCbersetzen,
technische Entwicklung oder Betreuung, Moderation (was eigentlich die
"Drecksarbeit" ist), \xD6ffentlichkeitsarbeit, Kampagne zu gro\xDFen Events usw.
Und nat\xFCrlich Berichte schreiben, aber dazu braucht mensch ja nur einen
Internetzugang. Kommuniziert wird haupts\xE4chlich \xFCbers Internet.
(Mailinglisten, Chat, Wiki-Sites)
Wie genau wird man "Moderator" bzw. erh\xE4lt man das Recht Artikel zu filtern und zu \xFCberpr\xFCfen? Wer wacht sonst noch \xFCber die Einhaltung der Statuten von Indymedia? Ist das immer von Erfolg gekr\xF6nt? Gab es schon mal \xC4rger vom Verfassungsschutz o.\xC4.?
Als Moderator hat mensch nat\xFCrlich Zugang zu sensiblen Bereichen der Seite.
Da es keine "Pr\xFCfung" oder sonstige Kontrolle gibt, funktioniert es nur \xFCber
ein Vertrauensverh\xE4ltnis. Dazu ist der Kontakt zu einer lokalen
Indymediagruppe n\xF6tig. \xDCber die "Statuten", oder besser Grunds\xE4tze wacht
niemand. Es gibt einen Konsens, der st\xE4ndig diskutiert und weiterentwickelt
wird, also ein dauernder und offener Prozess ist und an dem sich
JedeR
beteiligen kann. Und das funktioniert offensichtlich. Nat\xFCrlich gibt es
Streit und Diskussion, aber das ist ja keine St\xF6rung, sondern notwendig f\xFCr
ein gleichberechtigtes Miteinander.
Vom Verfassungsschutz gibt es keinen \xC4rger, aber der ist ja auch kein
exekutives Organ, denn er beobachtet "nur". Probleme von staatlicher Seite
gibt es haupts\xE4chlich durch Anw\xE4lte, die in einzelnen Artikeln Verst\xF6\xDFe
gegen das Pers\xF6nlichkeitsrecht oder Presserecht sehen. Wie damit umgegangen
wird ist sehr unterschiedlich. In anderen L\xE4ndern gibt allerdings st\xE4rkere
Repressionen gegen Indymedia. Z.B. wird in Italien zur Zeit wieder mit einen
Prozess versucht Indymdia zu bek\xE4mpfen. ( siehe
http://de.indymedia.org/2005/05/115023.shtml ) Und im Oktober 2004 wurden in
England in einer rechtlich sehr fragw\xFCrdigen Aktion durch das FBI mehrere
Server beschlagnahmt, wodurch auch Indymedia Deutschland teilweise betroffen
war. (siehe:
http://de.indymedia.org/2004/10/96036.shtml )
Welche Rolle spielt f\xFCr euch das Internet?
Also f\xFCr Indymedia selber ist es nat\xFCrlich die technische Voraussetzung. In
seiner gesellschaftlichen Bedeutung w\xFCrde ich es mit der Erfindung des
Buchdruckes gleichsetzen. Das Internet, welches erst seit ca. 15 Jahren der
Gesellschaft zur Verf\xFCgung steht (was historisch eine sehr kurze Zeit ist)
hat eine neue Dynamik in gesellschaftliche Ver\xE4nderungsprozesse gebracht.
Eine genauere Beurteilung ist sehr schwierig, da wir in diesen
Ver\xE4nderungsprozessen noch mitten drinstecken. Auch wenn viele interessante
Entwicklungen zu beobachten sind, so glaube ich aber, dass die wirklichen
Auswirkungen erst in vielen Jahren erfasst werden k\xF6nnen.
Habt ihr irgendwelche Nutzungszahlen, wie viele Menschen erreicht ihr? Wie sch\xE4tz ihr euren Einfluss in der Bev\xF6lkerung ein? Gibt es spektakul\xE4re Reaktionen oder Ergebnisse aufgrund von Artikeln oder Aktionen auf eurer Site?
Die Nutzungszahlen schwanken zwischen 5.000 und 15.000 Besuchern am Tag, bei
gr\xF6\xDFeren Ereignissen wie die Sicherheitskonferenz in M\xFCnchen k\xF6nnen es auch
bis zu 40.000 sein.
Den Einfluss auf die Gesellschaft zu beschreiben ist schwierig. Indymedia in
Deutschland ist jedenfalls noch ein eher linkes Nischenmedium, was, wie
bereits beschrieben daran liegt, dass es immer dessen Medium ist, der es
benutzt. Es erreicht somit haupts\xE4chlich politisch interessierte Menschen,
den nur an passivem Medienkonsum orientierten "Normalb\xFCrger" kaum. F\xFCr die
anderen Medien ist Indymedia aber inzwischen eine regelm\xE4\xDFig benutzte
Informationsquelle gworden, da sie dar\xFCber Zugang zu Perspektiven haben, die
ihnen aus bereits beschriebenen Gr\xFCnden sonst verschlossen bleiben.
Wo seht ihr euch gegen\xFCber Mainstream-Medien wie der BILD o.\xC4.?
Indymedia ist eben das, was die User draus machen. Zwar gibt es auf
Indymedia auch Artikel, die eher BILD-Charakter haben. Doch es geht nicht um
die Orientierung an einem bestimmten Niveau irgendwo zwischen BILD und ZEIT.
Durch die strukturelle Identit\xE4t von Konsument und Produzent gibt es dar\xFCber
auch keine Kontrolle. Indymedia ist vor allem ein neues mediales Prinzip,
was einen neuen Nachrichtentyp hervorbringt. Und weil es ein offenes
Medium ist hat es eine eigene Dynamik, die Indymedia nicht auf auf eine
bestimmte Position festnageln l\xE4sst.
Gibt es besondere Pl\xE4ne f\xFCr die Zukunft? Habt ihr zum Beispiel schon mal an Kooperationen mit offenen TV-Kan\xE4len gedacht oder andere Medien?
Indymedia ist ein Netzwerk, Kooperationen bzw. personelle \xDCberschneidungen
mit anderen Medienprojekten gibt es deshalb einige. Pl\xE4ne und Ideen f\xFCr die
Zukunft gibt es viele. Was davon verwirklicht wird h\xE4ngt schlicht und
einfach davon ab, dass es jemand macht. (Momentan wird z.B. versucht, lokale
Indymedias aufzubauen.)
Glaubt ihr, dass der Einfluss und die Verbreitung der "unabh\xE4ngigen Medien" in Zukunft wachsen wird? Wenn ja, woran macht sich das bemerkbar?
Ich glaube, dass das Prinzip des offenen Mediums bei k\xFCnftigen
gesellschaftlichen Ver\xE4nderungen eine Rolle spielen wird. Und zwar nicht nur
im Nachrichtenbereich, sondern auch in anderen Anwendungsfeldern. (So
funktioniert z.B. die Internet-Enzyklop\xE4die Wikipedia oder die Entwicklung
von OpenSource-Software nach einem \xE4hnlichen Muster.)
Anworten von Floh
--
AleX - 25 May 2005
--
AlsteR - 25 May 2005 - Versch\xF6nerungsanfall
--
BeN - 25 May 2005 - Spendenformulierung
_Ein weiteres Interview kann unter http://getajob.ath.cx/pub/Radio-Z_Interview_mit_Indymedia-mensch.mp3 angeh\xF6rt werden._
_Das n\xE4chste Interview ist im Februar 2006 entstanden, die Fragen stellte Susanne H\xF6gemann. Geantwortet hat mal wieder der Profilneurotiker Floh._
*1.Nutzung von indymedia.de: inwieweit habt ihr da R\xFCckmeldungen von
Zeitungen, Journalisten...anderen Medien?*
*2. Aus welchem Bereich und welchen Altersgruppen kommen die Moderatoren
und Freiwilligen, die Indy.de am Laufen halten? (Studenten? Sch\xFCler?
Journalisten? Informatiker? usw...)*
*3. Aus welchem Bereich und welchen Altersgruppen kommen die Nutzer von
Indy.de - soweit ihr da Einblick habt - wer postet was? schreiben
Journalisten anderer Medien auch auf Indy? Anscheinend nutzen viele
Kids und Antifas die Seite um "Stimmung zu machen". "Wut
rauszulassen"...?*
*4. Habt ihr R\xFCckmeldungen bez\xFCglich der Nutzung von Indy.de durch
andere Medien(Tages- und Wochenzeitungen, TV, Radio...)? Was nutzen
diese Medien (Video und Tondokumente? Fotos?
Hintergrundinformationen?....)?*
Zur ersten und vierten Frage, die ja relativ \xE4hnlich sind kann ich gar
nicht so viel sagen. Bis 2002 wurde auf den oben genannten Seiten eine Doku
\xFCber die Rezension von Indy in anderen Medien erstellt. Des Weiteren taucht,
wie du bereits selber geschrieben hast, Indy.de vor allem in linken Medien
auf. Doch die spielen im gesamtgesellschaftlichen Medienspektrum eher eine
Nebenrolle wie
JungleWorld, Heise-Online usw. Nur TAZ und evtuell ND haben
noch etwas Anschluss an die "Mitte". Dort wird manchmal auf Indy verwiesen.
Ansonsten hatte mal eine Aktivistin aus Berlin erz\xE4hlt, dass sie zuf\xE4llig
einen Mitarbeiter der DPA getroffen habe, der ihr sagte, dass dort auch
regelm\xE4\xDFig auf Indy geguckt werde. Von Toralf Staud, ehemaliger
ZEIT-Redakteur, jetzt freier Journalist und Autor des Buches "Moderne
Nazis", wei\xDF ich, dass er auch auf Indy recherchiert hat, es aber nicht so
bedeutend f\xFCr sein Buch war. Vielleicht klingt das in dem Interview, was du
zitierst etwas euphorisch, doch die direkte Rezension Indys ist eher gering.
Als Grund w\xFCrde ich den nur bedingten Nachrichtenwert Indymedias sehen.
Dieser gilt in Bezug auf Aktivit\xE4ten bestimmter Gruppen und
Erlebnisberichten von Demos, Kongressen oder anderen Events. Insbesondere
bei gro\xDFen Ereignissen wie G8, Castor oder Gro\xDFdemos wird auf Indy geschaut,
weil das die Menschen \xFCber die linken Szenen hinaus interessiert. Eine
Minidemo von 30 Antifas oder der Streit um eine Isreal-Fahne, die irgendwo
mal gewedelt wurde interessiert aber au\xDFer die Szene (und die Nazis) einfach
keinen. Es gibt zwar auch ein paar Journalisten, die ab und zu auf Indy
posten, Ralf Streck zum Beispiel postet regelm\xE4\xDFig zu Themen aus Spanien.
Aber insgesamt ist das eher marginal und durch den Anspruch Indys auf
Erstver\xF6ffentlichungen ist es f\xFCr proffesionelle Journalisten auch wenig
attraktiv, da sie darauf angewiesen sind, ihre Berichte zu vermarkten und
f\xFCr Indy daher nur aus reinem Idealismus schreiben k\xF6nnen (oder Artikel
posten, die sie mal nicht losgeworden sind)
Was dazu Indy besonders pr\xE4gt, insbesondere im deutschsprachigen Raum ist
die Funktion der Identit\xE4spflege, weil eben diejenigen, die schreiben, meist
auch diejenigen sind, \xFCber die geschrieben wird. Die Offenheit, die Indy f\xFCr
sich beansprucht f\xFChrt also dazu, dass jede x-beliebige Gruppe (die manchmal
nur aus einer Person besteht) ihr Weltbild propagieren kann, und dies auf
Indy besonders gern tun, weil sie woanders keinen Zugang zu etwas mehr
medialer \xD6ffentlichkeit haben. Viele Berichte haben daher einen
ausgesprochenen Agitationscharakter oder sind sehr ideologisch gef\xE4rbt. Da
schl\xE4gt die Eigenschaft Indys, dass es immer das Medium derer sei, die es
benutzen, in einen Nachteil um, wodurch der schon \xF6fters diagnostizierte
Autismus der Linken beobachtbar wird. Ich w\xFCrde Indy somit vor allem als ein
"szene-internes" Medium f\xFCr linke bis linksradikale Milieus bezeichnen,
welches zwar von anderen Medien wahrgenommen, aber nicht aufgenommen wird,
einfach weil es miest keine f\xFCr sie relevanten Infomationen enth\xE4lt.
Damit komme ich schon ein bisschen zu den anderen Fragen, der Sozialstruktur
von Indymedia. Es gibt keine M\xF6glichkeiten empirischer Erfassung der
Indynutzer (was auch so sein soll), doch unter Indymediaaktivisten kursiert
immer wieder die ironisch-lakonische Selbstbeschreibung, dass der \xFCbliche
Indymediaaktivist wei\xDF, m\xE4nnlich, zwischen 20 und 30 Jahre alt und
technikbegeistert ist. Diese subjektive Wahrnehmung wird zumindest von
niemandem bestritten und die Genderstruktur ist auf Aktivistentreffen
(ausgehend von der \xFCblichen bipolaren Geschlechtereinteilung) als eindeutig
m\xE4nnerdominiert zu best\xE4tigen. Ich vermute, dass dies zumindest tendenziell
auf den "einfachen Indymedianutzer" \xFCbertrgen werden kann. (Auch wenn die
Einteilung in Aktivisten und Nutzer nicht so gern gesehen wird, weil
Indymedia diese Einteilung in Medienproduzenten und Medienkonsumenten ja
gerade aufheben will, so verhalten sich die Menschen aber trotzdem
gr\xF6\xDFtenteils noch so.) Um es konkret zu machen: Ich sch\xE4tze den Gro\xDFteil auf
15-30 Jahre, m\xE4nnlich und aus eher b\xFCrgerlicheren Schichten.
Sozialpsychologisch w\xFCrde ich folgende Einsch\xE4tzung machen: Es sind oft
junge Leute, die sich in einer postpupert\xE4ren Phase der Rebellion und
Identit\xE4tssuche befinden (bzw. da nicht rausfinden), Anschluss an eine
oppositionelle politische Idee oder Gruppe suchen und daf\xFCr auch eine
mediale Plattform brauchen. Und daf\xFCr bietet sich Indymedia an. (Dies gilt
\xFCbrigens auch f\xFCr die Naziszene, die f\xFCr viele Jugendliche genau diese
Funktion erf\xFCllt, wobei dort der Bildungsdurchschnitt eindeutig tiefer ist.
Das Verhalten in Naziforen oder von Nazis, die versuchen, Indy zu
unterwandern ist dem vieler Antifas sehr \xE4hnlich, ohne nat\xFCrlich die Inhalte
gleichsetzen zu wollen.) Unter dem Label von Emanzipation und Linkssein
bem\xFChen sie sich, \xFCberall ihr Feindbild zu entdecken (was ebenfalls eine
idendit\xE4tsstiftende Wirkung hat). Berichte sind deshalb oft keine \xFCberlegten
Aufzeichnungen von bestimmten Erlebnissen oder gar Recherchen, sondern nur
ein Vehikel um das eigene Weltbild, oft mit starker Aggression gegen alle
m\xF6glichen -ismen und Solidarit\xE4tsaufrufen f\xFCr xy rauszuposaunen. Und da
Identit\xE4tsfindung wie gesagt dabei oft \xFCber die Abgrenzung zu einem
Feindbild l\xE4uft (ich bin dagegen, also bin ich) wird diese um so intensiver
betrieben. Abgegrenzt wird sich dabei, neben der kapitalistischen oder
faschistischen Gesellschaft, von jenen Linken die zu reformerisch oder zu
radikal sind oder es wird gleich auf die Moderation eingedroschen, die einen
wirklichen oder vermeindlichen Nazi-Kommentar nach einer halben Minute immer
noch nicht versteckt hat und deshalb nicht antifaschistisch genug ist. Und
wer versucht, innerlinke Differenzen und Befindlichkeiten zu \xFCberwinden,
sich auf Inhalte zu konzentrieren und eine gewisse Sachlichkeit an den Tag
zu legen wird trotzdem angegriffen oder angep\xF6belt.
Meine pers\xF6nliche Einsch\xE4tzung zu den Inhalten ist: 20 bis 30 % aller
Artikel (ca. die H\xE4lfte kommen auf die Startseite) finde ich "lesbar",
entsprechen also meinem Anspruch eines Berichtes. 10 % davon interessieren
mich pers\xF6nlich. Den Rest halte ich mehr oder weniger f\xFCr Bl\xF6dsinn wie Selbstdarstellung,
ideologisches Rumgepose, Sinnlosdebatte, Szenekrieg, haben eine furchtbaren
Stil oder sind Pillepalle-Berichte. Folgendes Schema ist prototypisch f\xFCr
solche Sachen:
"Gestern auf S-Bahnhof X habe ich zwei Nazis gesehen und sie fotografiert.
So sahen sie von hinten aus, so von der Seite und so als sie mich bemerkt
haben. Dann wollten sie mich kriegen, ham'se aber nicht. Fight Fashism!"
Dazu kommen Crosspostings (solche Artikel erkennt man leider meist an dem
guten Stil), blo\xDF neu formulierte und kommentierte Wiederholungen von
Informationen der konventionellen Medien sowie offene oder versteckte
Versuche irgendwelchen Nazischei\xDF unter die Leute zu bringen. Wobei die
Unterscheidung zwischen manchem linken und rechten Text machmal gar nicht so
einfach ist.
Die, die sich so verhalten, sind, so vermute ich sehr, nur eine Minderheit
aller derer, die Indymedia nutzen, aber sie dominieren Indymedia, weil alle
anderen sich nur dann zu Wort melden, wenn sie wirklich was Sinnvolles
beitragen. Deshalb f\xFChle ich mich oft wie ein Kinderg\xE4rtner auf einer
Spielwiese, auf der sich ein Haufen verschw\xF6rungstheoretisierende
Politspinner, sich zankende M\xF6chtegern-Revoluzzer und sp\xE4t-pupertierende
Antifa-Kiddis austoben. Meine positiven Einsch\xE4tzungen zu Indymedia hast du
ja in dem anderen Interview bereits gelesen. Denn wenn du aus diesem Text
eine gewisse momentane Frustration raush\xF6rst, dann liegst du richtig. Hoffentlich
h\xF6ren die anderen nichts davon, sonst gelte ich als Def\xE4tist
--
FloH - 11 May 2006